Einzelhandel Wissen
16.09.2025
Kund:innen kaufen nicht rational – das belegen zahlreiche Studien. Preise wirken psychologisch, sie werden verzerrt wahrgenommen und emotional bewertet. Das Konzept des Behavioral Pricing zeigt, wie Händler diese Effekte nutzen können – und warum Transparenz dabei entscheidend bleibt.
Preise wirken über den Kopf – und über das Gefühl
Klassische Wirtschaftstheorien unterstellen, dass Menschen Preise nüchtern vergleichen und rational entscheiden. Doch die Verhaltensökonomie hat längst bewiesen, dass genau das nicht stimmt. Daniel Kahneman und Amos Tversky zeigten schon 1979 mit ihrer Prospect Theory, dass Verluste stärker empfunden werden als Gewinne. Ein Preisnachlass fühlt sich daher anders an, als er objektiv ist – ein Grund, warum Sonderangebote so wirksam sind.
Die wichtigsten psychologischen Effekte im Überblick
• Ankereffekt: Ein durchgestrichener „Vorher-Preis“ oder ein Premium-Produkt im Regal setzt einen Referenzwert. Günstigere Angebote wirken dadurch attraktiver, selbst wenn der Unterschied gering ist.
• Preisendungen: Ein Preis von 4,99 Euro wird als deutlich günstiger wahrgenommen als 5 Euro. Dieses Phänomen ist als Left Digit Effect belegt.
• Framing: „20 Prozent Rabatt“ klingt für viele attraktiver als „4 Euro weniger“ – obwohl es sich um denselben Preisnachlass handelt.
• Pain of Paying: Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass Zahlen beim Bezahlen negative Emotionen auslösen. Mobile Payment oder „Buy Now, Pay Later“-Modelle dämpfen diesen Effekt und steigern die Kaufbereitschaft (Prelec & Loewenstein, 1998).
Was die Forschung belegt
Im stationären Handel führen Preisaktionen kurzfristig zu mehr Frequenz, können aber langfristig die Markenwahrnehmung schwächen (Blattberg & Neslin, 1990). Online setzen Händler zunehmend auf Dynamic Pricing – also Preise, die sich in Echtzeit ändern. Untersuchungen zeigen, dass dies zwar Margen erhöht, aber auch das Risiko von Misstrauen birgt, wenn Preisunterschiede willkürlich wirken (Elmaghraby & Keskinocak, 2003).
Besonders kritisch ist die Preisgestaltung im Omnichannel-Kontext: Konsument:innen erwarten heute Preisparität zwischen Online-Shop und Filiale. Abweichungen werden schnell als unfair empfunden und können Kaufabbrüche nach sich ziehen.
Chancen und Grenzen für Händler
Behavioral Pricing eröffnet enormes Potenzial, um Kund:innen gezielt zu aktivieren. Entscheidend ist, wie verantwortungsvoll es eingesetzt wird:
1. Gezielt statt dauerhaft: Promotions sollten Impulse setzen, aber nicht zur Regel werden – sonst leidet die Glaubwürdigkeit.
2. Transparenz wahren: Faire, nachvollziehbare Preisstrategien stärken das Vertrauen und die Markenbindung.
3. Technologie nutzen – mit Augenmaß: KI-gestützte Dynamic-Pricing-Systeme bieten Chancen, erfordern aber klare Leitplanken beim Datenschutz und bei der Preisfairness.
Fazit
Preise sind im Einzelhandel weit mehr als eine Zahl am Regal. Sie sind ein psychologisches Signal, das Emotionen, Erwartungen und Kaufentscheidungen prägt. Händler, die Behavioral Pricing verstehen, können ihre Angebote smarter positionieren – solange sie den Balanceakt zwischen psychologischer Wirkung und fairer Kommunikation beherrschen.
Quellen
• Kahneman, D., & Tversky, A. (1979). Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk. Econometrica.
• Blattberg, R. C., & Neslin, S. A. (1990). Sales Promotion: Concepts, Methods, and Strategies. Prentice Hall.
• Prelec, D., & Loewenstein, G. (1998). The Red and the Black: Mental Accounting of Savings and Debt. Marketing Science.
• Elmaghraby, W., & Keskinocak, P. (2003). Dynamic Pricing in the Presence of Inventory Considerations: Research Overview, Current Practices, and Future Directions. Management Science.